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Morisawa – Historisches

Die Geschichte von zwei begnadeten Japanern, der ersten brauchbaren Fotosetzmaschine der Welt, dem Morisawa-Erzrivalen Sha-Ken mit seinen schönen Schriften, Adobe und den ersten japanischen PostScript-Fonts.

Die erste Fotosetzmaschine der Welt

Erfindungen und Ideen in Japan kommen meist aus dem Ausland. Japaner nehmen, entwickeln und verfeinern sie bekanntlich besser als die anderen. Das war bei Fotosetzmaschinen auch nicht anders. Da es außerhalb Japans nahezu unbekannt ist, wer eigentlich als Erster Fotosetzmaschinen praxistauglich gemacht hatte, möchte ich diese Wissenslücke hier etwas aufbessern.

Die Idee einer Fotosetzmaschine entstand bereits Ende des 19. Jahrhunderts in England. Laut Wikipedia weiß man jedoch kaum etwas über die Entwicklung der Fotosetzmaschinen zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis Mitte des 20. Jahrhunderts, als die erste Generation des Fotosetter von Intertype im Jahr 1948 in Serie ging. In verschiedenen japanischen Dokumenten findet man allerdings viele Einzelheiten über die Entwicklung der Fotosetzmaschinen zwischen 1920er und 60er Jahren.

Es waren zwei Japaner, Nobuo Morisawa (1901–2000) und Mokichi Ishii (1887–1963), die aus den europäischen Entwürfen für eine Fotosetzmaschine die erste verwendbare Fotosetzmaschine für das Japanische entwickelten und sie im Jahr 1929 auf den Markt brachten. Warum das den Japanern 20 Jahre früher gelang als den Ingenieuren im Westen, hat im Wesentlichen damit zu tun, dass sich die Schriftsysteme in Japan und den westlichen Sprachen grundsätzlich unterscheiden. Jeder lateinische Buchstabe besitzt seiner Gestalt entsprechend eine individuelle Breite (»Dickte«). Jedes Schriftzeichen der japanischen Sprache wird dagegen in einem Quadrat* geschrieben (= »dicktengleich« = Schreibmaschinenschrift). Die Fotosetzer in der Entwicklungsepoche hatten noch kein Sichtfenster oder keinen Bildschirm zur Verfügung. Sie mussten »blind« arbeiten. Da fällt die Entscheidung leicht, welches Schriftsystem für den blinden, analogen Fotosatz besser geeignet ist (eine ausführliche Darstellung der Technik des Fotosatzes würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Ich möchte aber jedem Interessierten dieses spannende Thema ans Herz legen).

Schließlich präsentierte Morisawa im Jahr 1958 sogar eine, speziell für das lateinische Alphabet konzipierte Fotosetzmaschine, die in dann 18 Ländern ein Patent erhielt und in weiteren 68 Ländern weltweit zum Einsatz kam.

die erste Fotosetzmaschine der Welt

Die erste Fotosetzerin der Welt? Vermutlich hatte man die Absicht, mit der Frau an der Maschine die Leichtigkeit der Bedienung zu demonstrieren. Das Foto stammt aus dem Jahr 1930 und zeigt die erste brauchbare Fotosetzmaschine der Welt.

©2009 MORISAWA

  • Im Gegensatz zu den meist quadratischen Kanji, ist die Proportion der einzelnen Kana-Zeichen eigentlich recht individuell. Trotzdem werden japanische Kana-Zeichen grundsätzlich in gedachte Quadrate geschrieben. Warum eigentlich? Das hat ökonomischen und praktischen Gründe: im Zeitalter des Buchdrucks wurde jedes Schriftbild, auch das von Kana-Zeichen, auf einem gleichen quadratischen Schriftkegel gezeichnet und angefertigt. Wenn dann Texte mit fester Laufweite (Monospace) gesetzt werden, braucht man keine weiteren individuellen Schriftkegel mehr herzustellen. Beim Monospace-Satz gibt es auch einen redaktionellen Vorteil, dass man von vornherein weiß, wie viele Texte bzw. Schriftzeichen genau auf vorgesehenen Plätzen gesetzt werden können.

    Auch nach der Buchdruck-Ära wurde diese Praxis weitestgehend aufrechterhalten und noch heute wird die Mehrheit senkrecht gesetzter Texte mit fester Laufweite gesetzt, obwohl moderne Satzprogramme die alte »Tradition« längst überflüssig gemacht haben.

Land der Fotosetzmaschinen

Der Grund, warum Fotosetzmaschinen in Japan derart boomten, lässt sich einfach erklären. Der Platzbedarf für eine Buchdruck- bzw. Bleisatzwerkstatt mit japanischen Schriftzeichen ist nicht zu vergleichen mit dem, was die Europäer mit ihren lateinischen Buchstaben kennen. Wegen der enormen Anzahl von Schriftzeichen stand für Japaner zudem außer Frage, Schreibmaschinen zu entwickeln, die sich in Europa längst als solche etabliert haben. Umso größer war der Wunsch der Japaner nach einem neuen Verfahren. Deshalb setzten japanische Visionäre so intensiv wie nirgendwo sonst auf die neue Technik namens Fotosatz.

Während im Westen der Fotosatz erst in den 60er Jahren häufiger zum Einsatz kam und bereits Ende der 80er Jahre durch digitale Verfahren des DTP weitgehend verdrängt wurde, war diese Setztechnik in Japan bis in die Mitte der 90er Jahre, das dominierende Satzverfahren bei der Druckproduktion und ist heute noch aus kuriosen Gründen, auf die ich später komme, nicht ganz ausgestorben.

Der Markt für japanische Druckschriften wurde damals faktisch nur durch zwei traditionsreichste Hersteller von Fotosetzmaschinen bestimmt: Morisawa und Sha-Ken, die aus – wer sonst – Morisawa und Ishii vorhergingen.

Fotosetzmaschinen und spezielle Schriften

Beide Unternehmen entwickelten nicht nur Fotosetzmaschinen, die so teuer waren wie Autos der Oberklasse, sondern auch dazugehörige Schriften. Die Schriftscheiben aus Glas waren auch sehr teuer (ich erinnere mich noch daran, dass uns unser Lehrmeister während des Studiums in Tokio sagte, wie sehr vorsichtig wir damit umzugehen haben) und wurden exklusiv für ihre Maschinen entworfen und angefertigt. Das gehörte zu ihren Verkaufsstrategien, und die Satzbüros hatten für ihre Arbeitsgeräte kräftig zu investieren.

In Folge der hohen Kosten ging die Vielfalt der Schriftarten zurück. Denn viele Satzbüros besaßen meist nur das, was sich am meisten verkaufte. Dass japanische Fonts auch im digitalen Zeitalter nicht wesentlich günstiger verkauft werden können, habe ich in diesem Artikel geschrieben. Die Preise für die Schriften waren damals um ein Vielfaches höher als heute, was sich radikal auf die japanische Schriften-Landschaft auswirkte: In Japan sah es überall gleich aus. Die Monotonie der Schrift war nicht zu übersehen: auf Außenschildern, in Büchern oder auf Visitenkarten.

Und wissen Sie, wer von den beiden Herstellern im Zeitalter des Fotosatzes die Schriften verkaufte, die von Grafikdesignern besonders beliebt waren? Sha-Ken war es, und zwar mit großem Abstand. In der Branche hieß es damals, »Technik von Morisawa, Schriften von Sha-Ken«. Die Maschinen von Morisawa waren zuverlässiger aber das war für Designer zweitrangig, denn sie mussten ja keine Maschinen bedienen. Designer wollten nur schöne Schriften.

Suchen, suchen und weiter suchen. Auf einer Schriftscheibe befinden sich ca. 3.000 Schriftzeichen und Fotosetzer müssen jedes Zeichen selbst suchen. Damit ist des Wahnsinns nicht genug, alle Schriftzeichen auf der Scheibe sind auch noch spiegelverkehrt.

©Ryougetsu Manufactory

Schriften von Sha-Ken

Zahlreiche Schriftarten von Sha-Ken, unter anderem diejenigen, die Ishii selbst entwarf, gelten heute noch bei vielen Grafikdesignern als die schönsten je geschaffenen Schriften. Die Dominanz von Sha-Ken in der Fotosatz-Ära war unübersehbar und seine Schriften besaßen in ihrem Höhepunkt einen Marktanteil von 90% (!) in Tokio, seiner Heimatregion und dem größten Ballungsraum der Welt. Morisawa dagegen hatte sogar in seinem Revier in Osaka weniger als einen halben Marktanteil dessen, was Sha-Ken dort besaß – so erzählen es die Menschen von damals. Wie auch immer die Wirklichkeit gewesen sein mag, sollte die Vorherrschaft von Sha-Ken in den 90er Jahren ein überraschend schnelles Ende gefunden haben.

Ishii Chu Mincho

Garamond in Japan. Ishii Chu Mincho, Rufname »MM-OKL«, erschien 1933. Diese Ishii-Schrift ist zwar nicht 500 Jahre alt aber besitzt eine ähnliche unvergängliche Schönheit wie die französische Renaissance-Antiqua.

Ishii Chu Gothic

Ishii Chu Gothic, 1954

Ishii Futo Kyokasho

Ishii Futo Kyokasho, 1959

Gona M

Gona M, 1983

  • Typedesigner aus dem Hause Sha-Ken

In seiner Blütezeit, den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, beschäftigte das Unternehmen mehr als 1.200 Mitarbeiter, darunter ca. 30 Typedesigner. Unter der Leitung vom Type-Direktor Kazuo Hashimoto (1935–) hat Sha-Ken große Typedesigner hervorgebracht, die der Schriftbranche im In- und Ausland einen großen Beitrag geleistet haben, nachdem sie dem hoffnungslos konservativen Unternehmen den Rücken gekehrt haben.

Tsutomu Suzuki (1949–1998): Gründer von Jiyukobo, war von 1969 bis 1989 bei Sha-Ken tätig, ist der Vater der Schriftfamilie »Hiragino«. Auch die Schrift »Yu Mincho« wurde unter seiner Leitung entwickelt, deren Vollendung er aber nicht mehr erlebte. Er starb mit nur 49 Jahren.

Osamu Torinoumi (1955–): Gründungsmitglied von Jiyukobo, war von 1979–1989 bei Sha-Ken tätig. Seit dem Tod von Suzuki agierte er bis zur Übernahme durch Morisawa 2019 als Geschäftsführer. Der Kalligraf ist Spezialist für Kana-Zeichen, entwarf u.a. die Kana-Zeichen der Hiragnino-Schriftfamilie (Mincho und Gothic), und beteiligte sich bislang an mehr als 100 Schriftprojekten.

Shigenobu Fujita (1957–): Type-Direktor bei Fontworks, war von 1975 bis 1998 bei Sha-Ken tätig, wechselte 1998 zu Fontworks, um seine eigene ideale Schrift »Tsukushi-Mincho« zu verwirklichen. Die Tukushi-Schriftfamilie gewann verschiedene Designpreise und gilt längst als die Flaggschiff-Schrift von Fontworks.

Akira Kobayashi (1960–), Type-Direktor bei Linotype bzw. Monotype, war von 1983–1989 bei Sha-Ken tätig. Das wohl bekannteste Ausnahmetalent aus Japan in Sachen Schriftgestaltung der lateinischen Buchstaben.

Morisawa und Adobe PostScript

Adobe und seine Erfindung PostScript waren es, das alles änderte. Adobe war damals noch ein kleines Unternehmen mit ein paar zig Mitarbeitern, und suchte seit Mitte der 80er Jahren einen Partner in der japanischen Schriftindustrie, der gemeinsam PostScript-Fonts entwickelt, und suchte sich drei Unternehmen aus: Sha-Ken, Morisawa und Ryobi. Für Sha-Ken und Ryobi war die Anfrage komplett absurd und sie konnten sich überhaupt nicht vorstellen, dass digitale Schriften in absehbarer Zukunft das gesamte Fotosatzsystem auf den Kopf stellen würden. Nur Morisawa war bereit zur Zusammenarbeit mit Adobe.

Morisawa gab sich auf dem Markt im Kampf gegen Sha-Ken geschlagen. Die »ewige Nummer Zwei« hatte nichts mehr zu verlieren. In der Anfrage von Adobe sah Morisawa deshalb eine neue Chance. Die Zusammenarbeit begann bereits 1987 und Anfang der 90er Jahre kamen die ersten japanischen PostScript-Fonts auf den Markt. Draußen begann längst die neue Ära namens DTP. Apple-Computer und QuarkXPress warteten auf die Geburt der japanischen PostScript-Fonts. Morisawa präsentierte einen PostScript-Font nach dem anderen. So stieg das verloren geglaubte Unternehmen binnen zehn Jahren zur japanischen Schriftanbieter Nummer Eins auf. Morisawa-Fonts wurden De-facto-Standards für das ganze Land. Was sonst noch zum Morisawas Erfolg beigetragen hat, können Sie auch in »Über Morisawa« lesen.

Sha-Ken und seine Zukunft

Was hat denn Sha-Ken während dieser Zeit gemacht? Gar nichts. Die Unternehmensführung, genauer gesagt die Geschäftsführerin und die dritte Tochter von Mokichi, Yuko Ishii (1926–2018), war zeitlebens stur und ging, zum großen Bedauern der Liebhaber schöner Schriften, bis zu ihrem Tod weiter einen anachronistischen Weg. Sie ignorierte die ganze Entwicklung der Schriftindustrie und blieb bei der Strategie, ihre Schriften nur als Bestandteil ihres konservativen Setzsystems zu verkaufen. Sha-Ken hat immer noch (Stand: 2019) keinen Internetauftritt, keine Mailadresse und verkauft keine digitale Schriften für Computer*. Die schönen Schriften von Sha-Ken können ausschließlich in ihrer Fotosetzmaschine von speziell ausgebildeten Technikern gesetzt werden. Und die letzten Hardcore-Sha-Ken-Fans bestellen in der Tat heute noch bei einem der letzten Sha-Ken-Anbieter, die längst nicht mehr davon leben können, die einen oder anderen Sätze in ihren Lieblingsschriften.

Für die junge Generation ist Sha-Ken mittlerweile Geschichte. Die ganze Branche hat das Verhalten des ultrakonservativen Unternehmens gar nicht verstanden und zutiefst bedauert. Der Verlust der Ishii-Schriften bedeutet, dass ein sehr wichtiger Teil unser Kultur verloren geht. Aber die Zeiten ändern sich eben und dafür bekamen die anderen Typedesigner große Chancen. In den letzten 30 Jahren wurden viele Schriftenhäuser neu gegründet und eine Menge neue, verschiedene Schriften wurden kreiert. Viele von ihnen stammen von ehemaligen Sha-Ken-Mitarbeitern. Der japanische Markt für digitale Fonts bietet zurzeit so viele Schriften wie nie zuvor. Sha-Ken kann ruhig in Rente gehen – dachte man.

*Die Wende

Damit hätte wirklich niemand gerechnet. Auf der Messe für elektronische Bücher »15th e-Book Expo 2011«, die vom 7. bis 9. Juli in Tokio stattfand, kündigte Sha-Ken überraschend an, ab jetzt alles anders zu machen als bisher. Dort wurden zahlreiche OpenType-Fonts der »Klassier« demonstrativ in iPhone, iPad und in InDesign präsentiert. Darunter die legendären Ishii-Schriften. Einsatzbereite OpenType-Fonts hätte Sha-Ken längst entwickelt, diese aber nur seinen Stammkunden, den Abnehmern der Fotosetzmaschinen, zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen wolle noch in diesem Jahr damit beginnen, ihre Fonts nach und nach auf den Markt zu bringen, und veranstaltet gerade Umfragen, um herauszufinden, was genau die Leute von Sha-Ken erwarten. Laut seinem Sprecher denke das Unternehmen sogar positiv über einen Internetauftritt nach. Viele Fragen ließ er aber noch offen.

Im Internet kursieren seither zahlreiche Gerüchte und geteilte Meinungen zu dieser Eilmeldung. Schriftfreunde sind bedingungslos begeistert und bejubeln diesen langersehnten Schritt des Unternehmens. Skeptiker dagegen verbreiten nicht allzu große Hoffnung und halten den Richtungswechsel für verspätet. Sie glauben nicht an den Wiederaufstieg des Unternehmens und vermuten, dass die Fonts nicht so schnell wie angekündigt auf den Markt kommen würden. Ich bin einer, der sich über die Nachricht gefreut hat und hoffe, dass die Aktion nicht an einer falschen Verkaufsstrategie des Unternehmens scheitert.

Nachtrag, Herbst 2019:
Es sind nun mehr als acht Jahre vergangen, seitdem ich den oben stehenden Text geschrieben habe. Inzwischen ist Yuko Ishii gestorben, aber wir sehen nach wie vor keine digitalisierten Fonts von Sha-Ken, und stellen keine neuen Aktivitäten des Unternehmens fest. Punkt.

Nachtrag, Januer 2021:
Die Skeptiker hatten zwar recht, aber jetzt kommt doch endlich Bewegung:

Happy End: Der Kreis schließt sich.

Am 18. Januar 2021 kündigte Morisawa völlig überraschend an, dass sich Morisawa und Sha-Ken darauf geeinigt haben, aus der bestehenden Bibliothek von Sha-Ken gemeinsam OpenType-Fonts zu entwickeln. Donnerwetter! Sie streben derzeit danach, neue Fonts ab 2024 nach und nach auf den Markt zu bringen, denn es ist ein Jubiläumsjahr für beide Unternehmen: Vor 100 Jahren, im Juli 1924, meldeten die beiden Gründer Ishii und Morisawa gemeinsam ein Patent für eine Fotosetzmaschine an (ausführliches können Sie weiter unten lesen).

So schließt sich der Kreis wieder – nach der letzten Trennung 1948. Und diesmal hat man tatsächlich das Gefühl, dass die längst verloren geglaubten Schätze der japanischen Schriften endlich wieder ins Leben gerufen und für alle zugänglich gemacht werden. Aber man weiß ja nie bei diesem Duo, und wir können nur abwarten, bis das Jahr 2024 kommt.

Übrigens ging am 3. März 2021 auch die Website von Sha-Ken zum ersten Mal online :^)

Nobuo Morisawa und Mokichi Ishii

Und zum Abschluss dieser Seite komme ich wieder auf die beiden Herren zurück. Sie tauchen zwar wegen der gemeinsam entwickelten Fotosetzmaschinen immer gemeinsam in Geschichtsbüchern auf, waren aber in Wirklichkeit völlig unterschiedliche Naturen und ihr Leben war durch Konflikte und Streitereien geprägt.

Morisawa, geboren als zweiter Sohn einer einfachen Familie, wuchs auf dem Land der Stadt Himeji, etwa 80 Kilometer westlich von Osaka auf und war ein genialer Bastler. Er erbte anscheinend sein erfinderisches Talent von seinem Vater, der schon seit langer Zeit von seinen Erfindungen lebte und eine kleine Metallverarbeitungsfabrik betrieb. Der kleine Morisawa spielte dort die ganze Zeit mit Werkzeugen herum, bis eines Tages die Fabrik pleite ging. Er musste die Schule abbrechen und gemeinsam mit seinem großen Bruder für die Familie hart arbeiten. Morisawa besuchte faktisch nur die Grundschule.

Ishii war dagegen ein Intellektueller. Er stammte aus einer vermögenden Reishänder-Familie in Tokio, war immer der Jahrgangsbeste in der Schule und war Absolvent der heutigen Universität Tokio, der renommiertesten Elite-Uni des Landes. Er studierte dort Maschinenbau. Gleich nach dem Studienabschluss im Jahr 1912 arbeitete er bei dem Stahlproduzent Kobe Steel in Kobe, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern bis 1923 verbrachte.

1923 wurde der damals 22 Jahre alte Morisawa von Hajime Hoshi (1873–1951), dem Geschäftsführer der Hoshi Pharmazeutischen Fabriken, nach Tokio einberufen. Hoshi war ein überaus offener Mensch und für neue Ideen empfänglich. Zudem war er ein außerordentlich erfolgreicher Geschäftsmann, der unter anderem mit dem deutschen Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber befreundet war, der auch sein Mäzen war. Ein Jahr zuvor brachte Hoshi von seiner Geschäftsreise eine Druckmaschine (vermutlich eine alte Rotationsdruckmaschine für den Buchdruck) der MAN AG mit. Diese Druckmaschine war noch zerlegt, in 30 Karton verpackt und es lag keine Montageanleitung bei. Morisawa, der noch keinerlei Erfahrung mit Druckmaschinen hatte, wurde gleich zum »Chefdrucker« ernannt und bekam die schier unmögliche Aufgabe, diese Maschine wieder zum Laufen zu bringen – und es gelang ihm. Das war die ausschlaggebende Erfahrung für sein zukünftiges Leben, die ihm ermöglichte, über alternative Satzverfahren nachzudenken und die, wie er selber fand, umständliche und primitive Praxis mit dem Buchdruck zu revolutionieren. Eines Tages erzählte ihm einer seiner Kollegen von einem neuartigen Satzverfahren namens Fotosatz aus England. Das war der Moment des Geistesblitzes, in dem ihm ein Licht aufgegangen ist.

Nobuo Morisawa, 23. Angestellter, »Bastler« in der Druckerei bei der Hoshi Pharmazeutischen Fabriken in Tokio.

©2009 MORISAWA

Zur selben Zeit kündigte Ishii seine Stelle bei Kobe Steel und ging aus privaten Gründen nach Tokio zurück. Er fand eine Stelle bei Hoshi und begann dort als Fachingenieur zu arbeiten. 1924 kam dann in der Druckabteilung die Schicksalsbegegnung der beiden Protagonisten. Ishii war sehr beeindruckt von dem jungen ambitionierten Morisawa und interessierte sich für seine Idee, so kam die Zusammenarbeit der beiden Pioniere schnell zustande. Sie erhielten im folgenden Jahr ein Patent auf einen Apparat für Fotosatz, bauten zügig den ersten Prototyp, kündigten ihre Stellen bei Hoshi und gründeten im Jahr 1926 dank der Finanzkraft der Ishii-Familie das Ishii Institut für Fotosetzmaschinen (zukünftige Sha-Ken – Abkürzung des japanischen Namens des Instituts Shashin-Shokuji Kenkyu-sho) im eigenen Haus in Tokio.

Made in Japan. Der erste Prototyp aus dem Jahr 1926. Beide Herren stehen hinten: links Ishii, rechts Morisawa.

©2009 MORISAWA

Drei Jahre später kam die weltweit erste brauchbare Fotosetzmaschine auf den Markt, aber der große Erfolg blieb zunächst aus. Schuld daran waren die noch nicht ausreichende Maschinenleistung und die damals noch unentwickelte Offsetdruck-Technik. Morisawa und Ishii begannen zu streiten. Der Krieg (für Japaner begann er bereits 1931) bremste die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung massiv. 1933 verließ Morisawa wegen Meinungsverschiedenheiten das Institut und ging nach Osaka zurück. Dort erfand er bald neue Maschinen für die Herstellung von Schrauben und verbrachte finanziell erfolgreiche Jahre.

1945 ging der Krieg zu Ende. Die Luftangriffe auf Tokio zerstörten auch die gesamte Einrichtung des Instituts. Alles musste neu beginnen. In der Nachkriegszeit wuchs das Interesse der Menschen aufs Neue explosionsartig und damit auch der Lesebedarf. Fotosetzmaschinen erweckten die Aufmerksamkeit der Druckindustrie und der Verlagshäuser. Es gab auch Übernahmeangebote für das Institut aber Ishii wollte es nicht aufgeben und 1946 nahm er wieder Kontakt mit Morisawa auf. Für Ishii war sein Talent für Mechanik einfach unverzichtbar gewesen. Morisawa akzeptierte die Bitte von seinem alten Mitstreiter und so begann der zweite Anlauf der Zusammenarbeit.

Morisawa entwickelte neue Maschinen in Osaka, Ishii arbeitete in Tokio am optischen System, an Schriften und kümmerte sich auch um den Vertrieb. Abgesehen davon, dass die beiden nun nicht am selben Ort arbeiten, war ihre Arbeitsteilung genauso wie früher. Wegen seiner guten Ausbildung war Ishii einfach das »bessere« Gesicht für die Öffentlichkeitsarbeit. Der viel jüngere, schlecht ausgebildete Handwerker Morisawa geriet meist in den Schatten seines intellektuellen Partners und fühlte sich von der Öffentlichkeit nicht gleichbehandelt und anerkannt. Ihre neuen Fotosetzmaschinen bekamen zwar wie erwartet einen guten Ruf aber schon nach zwei Jahren ging Morisawa seinen eigenen Weg ohne Ishii – dieses Mal endgültig. 1948 gründete er in Osaka sein neues Unternehmen für Fotosetzmaschinen, das im Jahr 1971 in »Morisawa« umbenannt wurde.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2000 erlebte er wie kein anderer die ganze Entwicklung der japanischen Druckschriften im 20. Jahrhundert – und den Aufholsieg seines Unternehmens gegen seinen Erzrivalen Sha-Ken. Er starb im Alter von 99 Jahren.

Das Meisterwerk von Ishii

Im Jahre 1951 wurde der damals 64jährige Ishii vom japanischen Taishukan-Verlag damit beauftragt, für das weltgrößte Kanji-Lexikon Dai Kan-Wa Jiten alle Schriftzeichen neu zu zeichnen. In den nächsten acht Jahren zeichnete er sage und schreibe insgesamt 50.000 Kanji – allein. Hut ab.

Mokichi Ishii am Arbeiten

Zeichnen für die Ewigkeit. Mokichi Ishii am Werk.

©Sha-Ken